Der beinerne Tisch
Hoch über dem unteren Mölltal liegt die schöne Burg Falkenstein. Einst lebte auf jener Burg eine Gräfin, die sehr reich und schön, aber auch hochmütig, stolz und geizig war. Sie veranstaltete auf Falkenstein große Feste, bei welchen viel gegessen und getrunken wurde, während die Untertanen Not litten.
Als auf Falkenstein der Festsaal wieder einmal mit Gästen gefüllt war, rief die Gräfin jubelnd aus: „Niemandem im schönen Kärntnerland geht es so gut wie mir! Wer ist so reich, so schön, so glücklich wie ich? Was sich die anderen kaum wünschen können, besitze ich in reicher Fülle. Ich habe früher am hölzernen Tische gespeist. An Marmortafeln und vor silbernen Platten bin ich gesessen. Und jetzt ist es reines Gold, auf dem meine vollen Schüsseln stehen. Nur an einem beinernen Tische habe ich noch nie gegessen, aber auch das möchte ich einmal versuchen! Vielleicht ist mir auch dieses Glück noch vergönnt? Ja, das Glück, das muss immer bei mir bleiben!“
Nun zog die Gräfin einen goldenen Ring vom Finger und rief, dass es alle im Festsaal hörten: „So wahr dieser Ring, den ich jetzt in den Bach werfe, nie wieder aus seinen Fluten auftauchen wird, so wenig wird auch der Stern meines Glückes jemals verlöschen!“ – Und sie schleuderte den Ring aus dem Fenster, damit ihn der rauschende Bach aufnehme.
Die Diener hatten diese Rede bestürzt vernommen, und die Gäste machten wegen dieses frevlerischen Ausspruches ernste Gesichter. Die stolze Burgfrau aber blickte höhnisch von einem Gesicht zum anderen. Erst wenige Tage waren seit jenem rauschenden Fest vergangen, als ein Fischer zur Burg Falkenstein eilte. Er hielt freudig einen goldenen Ring in die Höhe, den er im Bauch eines Fisches gefunden und als Eigentum der Gräfin erkannt hatte. Das Burggesinde erschrakwegen dieses Fundes, und auch die stolze Gräfin wurde ernst und erblasste leicht, als ihr die Zofe den Ring überreichte.
Drei Jahre verstrichen noch im alten Glanz mit seinem verschwenderischen Festesrummel. Dann aber kamen Feinde in das Land, die in alle Täler vordrangen und auch die Burg Falkenstein eroberten. Sie brannten die stolze Feste nieder, und die Gräfin konnte kaum ihr Leben aus den rauchenden Trümmern retten. Bettelnd musste sie nun von Haus zu Haus ziehen. Oft wurde sie von der Tür gewiesen, weil man sie wegen ihres früheren Stolzes verachtet. Wenn die Mölltaler ihre ehemalige Herrin auf dem Boden sitzen und das erbettelte Gnadenbrot von ihren Knien aufessen sahen, dann riefen sie ihr höhnisch zu: „So, nun erfrische dich auch einmal am beinernen Tisch! Jetzt geht dir dein stolzer Wunsch in Erfüllung!“
In der Nähe von Obervellach zeigen die Leute noch heute eine Keusche, wo die frühere Burggräfin von Falkenstein auf einem Bündel Stroh im Elend gestorben sein soll.